Im Zustand der Angst sind wir nicht in der Lage, zusammenhängend zu denken. Wenn wir um unsere wunden Punkte wissen, die „roten Knöpfe“, welche uns unmittelbar in Alarmstimmung versetzen, können wir üben, sie in Gedanken zu betätigen, um die Gefühle anzuschauen in dem Wissen, dass wir uns aktuell nicht wirklich in einer Notsituation befinden.

Wir tun dies bereits, indem wir einen Film sehen, Bücher lesen oder Musik hören. Im Grunde therapieren wir uns auf diese Weise unentwegt selbst. Entscheidend ist, dass wir uns nicht mit der Rolle eines Protagonisten identifizieren, um als Opfer oder Täter, Verlierer oder Sieger, gut oder böse aus der Geschichte hervorgehen. Wie in unseren Träumen dient jede Figur der Darstellung eines Aspektes unserer eigenen Psyche. In Wirklichkeit sind wir Opfer UND Täter, die miteinander kämpfen, auf der Suche nach Harmonie, Einigkeit, Lösung – Ganzheit.

Welche Gefühle darf ich haben? Mit wem identifiziere ich mich lieber? Bin ich in der Lage, mich in jede mitwirkende Person hineinzuversetzen und die Vielfalt meiner Gefühlswelt zuzulassen? Neige ich dazu, den einen ständig zu verurteilen und einen anderen in Schutz zu nehmen? Was geht in mir vor? Welche Dialoge führe ich? Schlage ich das Buch zu, um gleich zum nächsten zu greifen? Bin ich eine Leseratte? Süchtig nach Lesestoff? Input aus den sozialen Medien? Ständig in Betrieb? Nehme ich mir Raum und Zeit zum Reflektieren und Bearbeiten des Erlebten, Gefühlten? Zum Verdauen? Lernen? Um mir Ziele zu setzen? Probleme als meine eigenen anzunehmen und an mir zu arbeiten? Lösungsorientiert?

Die Zeit spielt keine Rolle. Jeder hat Zeit, um sich dieser lebenswichtigen Arbeit zu widmen. Niemand hat mehr oder weniger Zeit als der andere. Die Frage ist: Wie gehe ich mit meiner Zeit um? Was mache ich aus meinem Leben? Teile ich es ein in erlaubt und verboten? Gute Zeit, schlechte Zeit? Arbeitszeit, Freizeit? Spalte ich meine Psyche durch Kategorien, die ich in Gedanken geschaffen habe und pflege, um eine gespaltene Persönlichkeit zu sein? Wer soll diese gespaltenen Persönlichkeiten einen? Frieden schaffen?

Dazu muss jede einzelne Person erzogen werden.

Jutta Riedel-Henck, 16. August 2024

 

aus: Jutta Riedel-Henck. Musikempfinden: Das Lied der stummen Seele. 30. Juli 2024 – ...