In Lüneburg halte ich Ausschau nach einem schattigen Sitzplatz. Die kleine Stadt ist reich an Sehenswürdigkeiten, wunderschönen alten Häusern mit individuellem Charme. Ich fühle mich zurückversetzt in alte Zeiten, die mir so jung erscheinen wie der Tag, an dem ich in den Zug stieg, um an diesen Ort zu reisen.
Eine Kirchentür, die gerade ins Schloss fällt, zieht meine Aufmerksamkeit an. Kurz darauf entdecke ich ein Schild mit dem Hinweis, dass die Kirche geöffnet ist. In ihrem Innenraum könnte ich mich für einen Moment ausruhen und abkühlen.
Als ich in den Vorraum trete, vermisse ich die erhoffte Kühle und Reinheit in der Luft. Ein weiteres Hinweisschild erbittet eine Spende von einem Euro für die Besichtigung. Ich überlege einen kurzen Moment einzutreten, ohne zu zahlen. Eine Spende ist freiwillig. Den Euro hätte gehabt so wie all das Kleingeld, welches bettelnde Menschen auf der Straße von mir als Gabe erfragten.
Wo ist Gott? Gerade hier an diesem Ort? Einer Kirche, die als Gottes Haus gepriesen wird? Ist ein erbetenes Geschenk ein Geschenk?
Ich fühle mich unwohl, verlasse den Vorraum und setze mich auf eine Stufe der Treppe zum Kirchenportal.
Warum bitten die Kirchenverwalter nicht Gott um Unterstützung zur Erhaltung ihres Bauwerkes? Fehlt ihnen der Glaube? Die Geduld? Das Vertrauen? Der Weg zum wahrhaftigen Schöpfer? Den sie sich mit ihren Schildern verstellt haben?
Im Inneren der Kirche stieg ein muffiger Geruch in meine Nase. Draußen vor der Tür spüre ich das lebhafte Treiben der Menschen.
Ich greife zu meinem Smartphone, schaue bei Google Maps, wo ich mich befinde. St. Johannis. Sollte ich mir nicht zumindest die Orgel anschauen? An der Georg Böhm seinen damaligen Schüler Johann Sebastian Bach unterrichtete?
Die Entscheidung wird mir abgenommen, als das Hinweisschild von einem Mitarbeiter in die Kirche getragen wird. Die Kirche ist geschlossen.
Wie mag es dem jungen Bach ergangen sein an diesem Ort? Eine verlassene Seele auf der Suche nach Halt ... mächtig klingt ein jeder Orgelpfeifenton neben dem verehrten Lehrer ... wir suchen Gott in unseren Vätern ... auf lange Sicht vergeblich.
Die Musik Bachs ein Donnerwerk sehnsüchtigen Verlangens nach Ewigkeit im zeitlichen Streben, ohne anzukommen. Hier. Jetzt. Im Sein. Entspannt und gelassen ...
Musik und Geld, ein Teufelspaar.
Die Kirche hütet das offene Geheimnis wider die wahre Natur aller Seelen.
Ich lausche den Stimmen der Menschen um mich herum und genieße mein Sein an diesem wunderschönen Ort im Schatten des Sommers.
aus: Geldwertgefühl. Deinstedt: Kompost-Verlag, 2022, S. 135–136.