Niemand steckt in meiner Haut. Und ich stecke in niemandes anderer Haut als in meiner. Meine Haut bilde ich von tief innen in jedem Moment neu. Ich verwechsle die Haut anderer nicht mit der meinen. Kleide mich nicht in fremden Häuten. Ob mit oder ohne Pelz.

Umgekehrt erlebe ich immer wieder, dass Leser meiner Texte sich mit ihnen identifizieren, sobald ich etwas verbal zum Ausdruck gebracht habe, was ihnen gefällt. Doch es bleibt dabei: Es ist meine Haut! Meine lebendige Form in stetem Wandel zwischen Geburt und Tod.

Narzissmus ist der Oberbegriff für die Identifizierung mit fremden Federn. Glitzern sie vielversprechend, erhält das Vogelvieh ein Körnchen Lob, wenige oder auch ein paar mehr Einheiten Streichel bis hin zu noblen Preisen. Als gerupftes Huhn landet es auf dem Buffet des Kaisers ohne Kleider, fürstlich verspeist mit Messer und Gabel bei abgespreiztem Finger in der Pose eines stolzen Pfaus.

Die ungeschminkte Wahrheit ist schön.

Jutta Riedel-Henck, 6. September 2024

 

aus: Jutta Riedel-Henck. Musikempfinden: Das Lied der stummen Seele. 30. Juli 2024 – ...